Automobilindustrie: UNECE R 155 und UNECE R 156 fixieren Security-Anforderungen
SDVs gewinnen an Marktanteil, EVs werden zum Standard – die Automobilindustrie steht vor tiefgreifenden Veränderungen. Neue Cybersecurity-Vorgaben machen Sicherheit zur strategischen Aufgabe. Von Entwicklung bis Wartung müssen Hersteller und Zulieferer neue Standards umsetzen, um wettbewerbsfähig zu bleiben und Sicherheit als Innovationsmotor zu nutzen.
Neue Sicherheitsanforderungen verändern die Automobilbranche
Die Automobilindustrie durchläuft eine der größten Umwälzungen ihrer Geschichte. Vernetzte Fahrzeuge, digitale Steuerungssysteme und softwaredefinierte Architekturen eröffnen neue Möglichkeiten, aber auch neue Angriffsflächen. Cyberangriffe auf Fahrzeuge sind längst Realität – tägliche Meldungen über Datenverluste und gehackte Komponenten zeigen, dass sie nicht nur die Sicherheit der Nutzer, sondern auch die gesamte Wertschöpfungskette bedrohen. Um dieser Entwicklung zu begegnen, haben internationale Regulierungsbehörden neue Vorgaben geschaffen, die Hersteller und Zulieferer gleichermaßen betreffen.
Die UNECE R 155 und UNECE R 156 legen erstmals weltweit verbindliche Cybersecurity-Anforderungen für Fahrzeuge und Software-Update-Prozesse fest. Um diese Vorschriften in konkrete Entwicklungs- und Produktionsprozesse zu überführen, sind ISO/SAE 21434 und weitere branchenspezifische Standards entstanden. Diese Regularien verlangen nicht nur eine einmalige Absicherung von Fahrzeugen, sondern ein durchgehendes Sicherheitsmanagement über den gesamten Lebenszyklus – dieser liegt zwischen 15 und 20 Jahren – hinweg.
Für Hersteller und Zulieferer bedeutet das: Cybersicherheit ist nicht mehr nur eine erheblicher organisatorischer und monetärer Aufwand oder eine zusätzliche technische Maßnahme, sondern eine Grundvoraussetzung für den Marktzugang. Unternehmen, die sich frühzeitig anpassen, können nicht nur regulatorische Hürden meistern, sondern sich auch als verlässliche Partner in einer sich wandelnden Industrie positionieren.
Security by Design: Sicherheit als integraler Bestandteil der Automobilindustrie
Eine zentrale Antwort auf die steigenden Sicherheitsanforderungen ist der Ansatz „Security by Design“. Dabei wird Cybersicherheit nicht nachträglich in Fahrzeuge integriert, sondern von Beginn an in die Architektur und Softwareentwicklung eingebunden. Dies umfasst die Absicherung von Komponenten, durchgehende Überprüfung von Sicherheitslücken und die kontinuierliche Anpassung an neue Bedrohungen.
Dieser Paradigmenwechsel verlangt ein tiefgehendes Umdenken in der Entwicklungsorganisation. Unternehmen in der Automobilindustrie müssen neue Prozesse etablieren, ihre IT-Infrastruktur erweitern und Sicherheitsteams enger mit Entwicklungsteams verzahnen. Langfristig führt dies jedoch zu einer stabileren und kosteneffizienteren Sicherheitsstrategie: Frühe Erkennung und Behebung von Schwachstellen reduziert kostspielige Nachbesserungen, minimiert das Risiko von Cyberangriffen, erhöht die Reputation am Markt und den Wettbewerb.
Zudem erfordert Security by Design eine enge Zusammenarbeit entlang der gesamten Wertschöpfungskette der Automobilindustrie. Hersteller müssen sicherstellen, dass nicht nur ihre eigenen Systeme, sondern auch alle zugelieferten Komponenten den gleichen Sicherheitsstandards entsprechen. Dies stellt insbesondere kleinere Zulieferer vor Herausforderungen, die nicht über eigene umfangreiche IT-Sicherheitsressourcen verfügen.
Wachsende Bedeutung von Zertifizierungen für OEMs und Zulieferer
Die Umsetzung von Cybersicherheitsstandards wird zunehmend durch Zertifizierungsprogramme geregelt, die als Nachweis für die Einhaltung der Vorgaben dienen. Besonders relevant sind hier die ISO/SAE 21434 als internationaler Standard für die Automobilbranche und die ENX Vehicle Cyber Security (VCS)-Zertifizierung, die als branchenspezifische Ergänzung immer mehr an Bedeutung gewinnt.
Während ISO/SAE 21434 eine allgemeine Richtlinie für Cybersecurity in der Fahrzeugentwicklung vorgibt, bietet ENX VCS ein konkretes Schema, das Unternehmen dabei unterstützt, diese Anforderungen praktisch umzusetzen. Auch wenn ENX VCS keine offizielle Konkretisierung der UNECE-Regularien darstellt, setzen immer mehr OEMs diese Zertifizierung als Voraussetzung für ihre Zulieferer durch. Wer sich nicht zertifizieren lässt, riskiert, mittelfristig nicht mehr als Partner für große Hersteller in Frage zu kommen. Im Audit selbst prüfen unabhängige Auditoren die Implementierung von Sicherheitsmaßnahmen durch Code-Reviews, Penetrationstests und die Überprüfung von Sicherheitsprozessen. Dabei wird genau dokumentiert, wie Sicherheitsanforderungen vom Design bis zur Implementierung nachverfolgt werden können.
Besonders für kleinere Unternehmen ist diese Entwicklung entscheidend. Während die Umsetzung von Cybersecurity-Standards hohe Investitionen in Know-how und Prozesse erfordert, bietet die Zertifizierung auch die Möglichkeit, sich als zuverlässiger Partner in einer zunehmend regulierten Industrie zu etablieren. Unternehmen, die frühzeitig auf standardisierte Sicherheitskonzepte setzen, profitieren nicht nur von einer besseren Marktposition, sondern auch von optimierten internen Prozessen und langfristiger Kosteneffizienz.
Cybersicherheit als strategischer Vorteil und Innovationstreiber
Während neue Cybersecurity-Anforderungen zunächst als regulatorische Pflicht erscheinen, eröffnen sie in der Praxis erhebliche Chancen für Unternehmen, sich von der Konkurrenz abzuheben. Sicherheitsstandards sind nicht nur ein Compliance-Thema, sondern können aktiv als Qualitätsmerkmal genutzt werden. In einer zunehmend vernetzten Welt steigt die Nachfrage nach Fahrzeugen und Systemen, die nachweislich den höchsten Sicherheitsanforderungen genügen. Unternehmen, die Sicherheit als integralen Bestandteil ihrer Produktstrategie begreifen, können nicht nur den Marktzugang sichern, sondern sich auch als Innovationsführer positionieren – denn nichts ist schlimmer, als in der Presse über Datenlecks oder manipulierte Komponenten zu lesen. Die enge Verknüpfung von IT-Sicherheit und Produktentwicklung ermöglicht es, neue digitale Dienste sicher in Fahrzeuge zu integrieren und vernetzte Systeme zukunftssicher zu gestalten.
Zudem führt die konsequente Umsetzung von Security by Design zu effizienteren Entwicklungsprozessen. Wenn Sicherheitslücken frühzeitig erkannt und behoben werden, reduziert sich der Aufwand für spätere Nachbesserungen erheblich. Gleichzeitig werden Produkte robuster gegenüber zukünftigen Bedrohungen, was langfristig zu geringeren Betriebskosten und höherer Kundenzufriedenheit führt.
Fazit: Cybersicherheit als Schlüssel zur Zukunft der Automobilindustrie
Die zunehmende Vernetzung von Fahrzeugen macht Cybersicherheit zu einem entscheidenden Faktor für die gesamte Branche. Neue Regularien und Zertifizierungen wie ISO/SAE 21434 und ENX VCS setzen verbindliche Maßstäbe, die von Herstellern und Zulieferern umgesetzt werden müssen. Während dies zunächst mit Aufwand verbunden ist, bietet es gleichzeitig die Möglichkeit, Sicherheit als strategischen Vorteil zu nutzen. Unternehmen, die frühzeitig in Security by Design investieren und sich an neue Standards anpassen, profitieren nicht nur von regulatorischer Compliance, sondern auch von robusteren Prozessen, höherer Effizienz und einer stärkeren Marktposition.