KI-Compliance: Die Uhr tickt für Unternehmen

Chris Dimitriadis  |
KI-Compliance: Die Uhr tickt für Unternehmen

KI-Compliance: Die Uhr tickt für Unternehmen.

Die Zukunft ist hier – während viele Unternehmen das EU-KI-Gesetz (AI Act) noch als kommende Herausforderung betrachten, hat die Realität sie längst eingeholt. Zum 2. August 2025 sind wesentliche Teile der Regulierung in Kraft getreten und verändern den Umgang mit Künstlicher Intelligenz. Für zahlreiche Organisationen bedeutet dies das Ende der Vorbereitung und Zeit für konkrete Anpassung.

Die rechtlich bindenden Regelungen erfordern sofortiges Handeln: Von der Neugestaltung von Governance-Strukturen über die Einhaltung strenger Transparenzvorgaben bis hin zur Berücksichtigung neuer Aufsichtsmechanismen. Wer diese Anforderungen nicht erfüllt, riskiert hohe Bußgelder und Reputationsschäden.

EU-KI-Gesetz  – August 2025: Der Wendepunkt ist erreicht

Das KI-Gesetz entfaltet seine Wirkung schrittweise, doch der August-Meilenstein markiert einen entscheidenden Einschnitt. Die jetzt aktivierten Schlüsselelemente wirken branchenübergreifend:

  • Governance-Verpflichtungen (Kapitel VII)
  • Transparenzanforderungen für GPAI-Modelle (Kapitel V)
  • funktionsfähige unabhängige Prüf- und Zertifizierungsstellen, (Kapitel III, Abschnitt 4)
  • Vertraulichkeits- und Zugangsregeln (Artikel 78)
  • erster Sanktionsrahmen (Artikel 99–100)

KI-Einsatz und Governance: Die große Kluft

Obwohl das Bewusstsein für KI-Governance wächst, ist die Implementierung in der Praxis noch lückenhaft. Laut aktueller ISACA AI Pulse Poll 2025 nutzen bereits 83 Prozent der europäischen Unternehmen KI-Technologien – doch nur 31 Prozent verfügen über eine formelle, umfassende Richtlinie.

Die Diskrepanz offenbart ein bekanntes Muster: Die rasante KI-Implementierung überholt weiterhin die notwendigen Kontrollmechanismen. Das EU-KI-Gesetz zielt darauf ab, genau diese gefährliche Lücke zu schließen – insbesondere bei allgemeiner künstlicher Intelligenz.

GPAI: Der Treiber im Fokus der Regulierung

Das KI-Gesetz richtet seinen Scheinwerfer gezielt auf allgemeine künstliche Intelligenz (GPAI) – jene vielseitigen Modelle, die weit über ihren ursprünglichen Zweck hinaus agieren können: Sprache erzeugen, Bilder kreieren oder Code schreiben. Ihre tiefgreifende Integration in nahezu alle Lebensbereiche unterstreicht ihren weitreichenden Einfluss.

Angesichts ihrer vielfältigen Einsatzmöglichkeiten setzt die EU auf vorgelagerte Rechenschaftspflicht: Entwickler müssen Trainingsmethoden offenlegen, technische Dokumentation bereitstellen und Energieverbrauch transparent machen. Für besonders mächtige Modelle mit systemischem Risikopotenzial gelten zusätzlich verschärfte Auflagen – ein Paradigmenwechsel, der die Verantwortung nicht mehr nur den Nutzern, sondern auch den Schöpfern der KI-Systeme auferlegt.

Jetzt handeln: Konkrete Schritte für Unternehmen

Das KI-Gesetz entfaltet sich zwar erst bis 2027 vollständig, doch die Zeit des Abwartens ist vorbei. Die Compliance erfordert sofortige Maßnahmen, unter anderem:

  • Kartieren von KI-Systemen und deren Klassifizierung nach Risikostufe
  • Klären interner Rollen (Anbieter, Betreiber oder beides)
  • Entwicklung oder Aktualisieren von Governance-Rahmenwerken
  • Schulung von Mitarbeitenden in allen relevanten Abteilungen, nicht nur in technischen Teams
  • Sicherstellen, dass Transparenz- und Dokumentationsprozesse etabliert sind

Diese Schritte dienen nicht nur der rechtlichen Absicherung – sie schaffen echte Resilienz und Vertrauen in einer zunehmend KI-getriebenen Welt.

Die Qualifikationslücke: Die unterschätzte Gefahr

Das Gesetz verändert auf der einen Seite Prozesse, erweitert auf der anderen aber auch den Kreis der Verantwortlichen für die Gewährleistung von Vertrauen und Transparenz. Das Einhalten der Vorschriften wird ebenso sehr von qualifiziertem Personal wie von Richtlinien abhängen.

Die ISACA-Forschung zeigt: 42 Prozent der Fachleute glauben, ihr KI-Wissen innerhalb der nächsten sechs Monate erheblich verbessern zu müssen, um in ihren Rollen effektiv zu bleiben. Die zur KI-Steuerung erforderliche Expertise wächst exponentiell, bleibt aber ungleich verteilt. Viele Unternehmen stehen dadurch vor einem kritischen Dilemma: Sie verfassen ambitionierte Richtlinien, ohne über die notwendigen internen Kapazitäten zu verfügen, diese in die Praxis umsetzen zu können. Das Schließen dieser Qualifikationslücke wird damit zur Priorität für die Führungsebene, um Compliance-Risiken effektiv zu minimieren.

Von Pflichterfüllung zu strategischem Vertrauen: Die neue Philosophie

Das KI-Gesetz sendet eine klare Botschaft: Verantwortungsbewusste Innovation basiert auf Transparenz, Rechenschaftspflicht und Vertrauen. Dies erfordert eine tiefgreifende Integration der KI-Governance in die DNA jedes Unternehmens.

Statt KI jetzt als regulatorische Bürde oder Bedrohung zu betrachten, bietet das Gesetz einen Rahmen, um ihre revolutionären Potenziale strukturiert und verantwortungsvoll zu nutzen. Die kommenden Monate werden entscheidend sein – nicht nur für die Vorbereitung der EU-Mitgliedstaaten, sondern auch als Bewährungsprobe für Unternehmen, die ihre Verantwortung im gemeinsamen digitalen Ökosystem unter Beweis stellen müssen.

Die strategische Dimension: Mehr als nur Compliance

Letztendlich definiert die Regulierung nur die Untergrenze. Die Obergrenze – was KI für Gesellschaft und Wirtschaft tatsächlich leisten kann – wird davon bestimmt, wie Unternehmen mit den existierenden Herausforderungen umgehen.

Eine neue Ära hat begonnen: Die KI-Governance testet nicht nur Compliance-Fähigkeiten, sondern fordert strategisches Urteilsvermögen, Anpassungsfähigkeit und den Mut, langfristiges Vertrauen über kurzfristige Gewinne zu stellen. Dies ist keine bloße rechtliche Pflichtübung – es ist die zentrale strategische Herausforderung für jede zukunftsorientierte Unternehmensführung.

Autor

  • Chris Dimitriadis, Global Chief Strategy Officer, ISACA

    Chris Dimitriadis ist Chief Global Strategy Officer bei ISACA, einem Verband für Fachleute im Bereich digitale Sicherheit. Er entwickelt zukünftige Ausrichtungen und leitet die Umsetzung der Strategie in Bezug auf Geschäftsplanung und -durchführung auf globaler Ebene. Zudem ist er Vorsitzender des Vorstands von ISACA Europe.

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