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PLD (Produkthaftungsrichtlinie)
Die neue PLD (Produkthaftungsrichtlinie) der Europäischen Union, offiziell Richtlinie (EU) 2024/2853, wurde am 13. März 2024 verabschiedet und ersetzt die bisherige Richtlinie 85/374/EWG aus dem Jahr 1985. Ziel dieser Reform ist es, die bestehenden Regeln an die technologische Entwicklung – insbesondere an digitale Produkte, Software und KI – anzupassen und gleichzeitig ein hohes Verbraucherschutzniveau sowie Rechtssicherheit im digitalen Binnenmarkt zu gewährleisten.
Während die alte Richtlinie sich hauptsächlich auf physische Produkte beschränkte, berücksichtigt die neue Fassung nun auch digitale Komponenten, vernetzte Geräte und komplexe Systeme, die dynamisch auf Nutzerverhalten reagieren können – z. B. künstliche Intelligenz (KI), Software-as-a-Service (SaaS) und andere digitale Anwendungen.
Grundprinzip: Verschuldensunabhängige Haftung
Die Richtlinie etabliert das Prinzip der verschuldensunabhängigen Haftung. Das bedeutet: Der geschädigte Nutzer muss nicht nachweisen, dass ein Hersteller fahrlässig oder vorsätzlich gehandelt hat – es genügt der Nachweis, dass ein Produkt fehlerhaft war und ein Schaden entstanden ist. Dieses Prinzip soll vor allem Verbraucher stärken, die oftmals nicht die nötigen Mittel oder das technische Wissen besitzen, um komplexe Fehlerursachen aufzudecken.
Definition fehlerhafter Produkte
Ein Produkt gilt als fehlerhaft, wenn es nicht die Sicherheit bietet, die die Öffentlichkeit unter Berücksichtigung aller Umstände erwarten darf. Dabei spielen folgende Faktoren eine Rolle:
- Präsentation des Produkts (z. B. Verpackung, Warnhinweise)
- Gebrauchsanweisung und Sicherheitsinformationen
- Vorhersehbare und bestimmungsgemäße Verwendung
- Zeitpunkt des Inverkehrbringens oder der Inbetriebnahme
- spätere Änderungen, Updates oder Vernachlässigung von Sicherheitsanforderungen
Der Sicherheitsmangel kann sowohl bei der physischen Struktur des Produkts als auch bei digitalen Komponenten, Software oder Algorithmen liegen.
Einbeziehung digitaler Komponenten
Ein bedeutender Fortschritt gegenüber der alten Richtlinie ist die ausdrückliche Einbeziehung von Software als Produkt. Das umfasst:
- eigenständige Softwareprodukte,
- Softwarekomponenten innerhalb physischer Produkte,
- cloudbasierte Dienste,
- KI-Systeme (z. B. Chatbots, autonome Fahrzeuge),
- maschinell lernende Systeme, die sich im Betrieb verändern.
Damit trägt die EU dem Umstand Rechnung, dass digitale Produkte heute oft dieselbe sicherheitsrelevante Funktion erfüllen wie physische Produkte. Gleichzeitig werden Risiken berücksichtigt, die durch fehlende oder fehlerhafte Updates, Cyberangriffe oder unzureichende Sicherheitsstandards entstehen.
Haftung und verantwortliche Parteien
Neben dem klassischen Hersteller haften unter anderem auch:
- Importeure (z. B. wenn das Produkt außerhalb der EU produziert wurde),
- Bevollmächtigte Vertreter,
- Fulfillment-Dienstleister (z. B. Online-Händler, die Waren lagern und versenden),
- Personen oder Unternehmen, die ein Produkt wesentlich verändern oder mit Drittsoftware erweitern.
Dadurch soll sichergestellt werden, dass in komplexen Lieferketten oder digitalen Ökosystemen immer ein haftungspflichtiger Akteur innerhalb der EU verfügbar ist.
Umfang des Schadensersatzes
Die Richtlinie sieht Schadensersatz für eine Vielzahl von Schäden vor:
- Tod oder körperliche Verletzung (einschließlich psychischer Schäden)
- Sachschäden, sofern sie bestimmte Schwellenwerte überschreiten
- Verlust oder Beschädigung digitaler Inhalte oder Daten im privaten Kontext
- immaterielle Schäden, etwa Schmerzen oder Einschränkungen durch eine Verletzung
Nicht ersetzt werden wirtschaftliche Verluste am Produkt selbst (z. B. Kaufpreis) – dafür gelten weiterhin die Regeln des Vertragsrechts.
Beweislast, Offenlegung und Verbraucherrechte
Eine bedeutende Neuerung ist die Stärkung der Rechte der Geschädigten im Beweisverfahren:
- Gerichte können Unternehmen verpflichten, relevante interne Informationen offenzulegen, wenn die Beweislage asymmetrisch ist.
- Technische Dokumentation und Informationen zu Updates, Risikoanalysen oder internen Tests müssen ggf. offengelegt werden.
- Es gelten verhältnismäßige Anforderungen an den Nachweis von Kausalität – insbesondere bei hochkomplexen Produkten wie KI.
Diese Erleichterung ist notwendig, da Konsument:innen oft keinen Zugang zu komplexen technischen Informationen haben, die in der Verantwortung der Hersteller liegen.
Ausschluss und Befreiung von der Haftung
Hersteller können sich nicht auf die Unkenntnis des Fehlers berufen, wenn dieser z. B. durch unterlassene Sicherheitsupdates oder unzureichende Prüfung digitaler Komponenten entstanden ist. Eine Befreiung von der Haftung ist nur in eng begrenzten Ausnahmefällen möglich – etwa, wenn ein Produkt gesetzeskonform war und der Fehler nach Stand von Wissenschaft und Technik nicht erkennbar war.

Verjährung und Inkrafttreten
Die Verjährungsfrist beträgt:
- 3 Jahre ab dem Zeitpunkt, zu dem der Geschädigte vom Schaden, vom Fehler und von der haftenden Person Kenntnis erlangt,
- 10 Jahre ab dem Inverkehrbringen des Produkts (in bestimmten Fällen bis zu 15 Jahre).
Die neue Richtlinie gilt für Produkte, die ab dem 9. Dezember 2026 in Verkehr gebracht oder in Betrieb genommen werden. Für ältere Produkte gilt weiterhin die alte Produkthaftungsrichtlinie.
Fazit
Die neue Produkthaftungsrichtlinie 2024 ist ein wesentlicher Schritt zur Modernisierung des europäischen Haftungsrechts im Zeitalter der Digitalisierung. Sie schließt Lücken, die durch neue Technologien entstanden sind, stärkt die Verbraucherrechte und schafft Rechtssicherheit für Unternehmen in digitalen und vernetzten Märkten. Die Berücksichtigung von Software, KI und dynamischen Produktfunktionen zeigt, dass die EU sich aktiv mit der Zukunft der Produktsicherheit auseinandersetzt und einen fairen Ausgleich zwischen Innovation und Verantwortung schaffen will.
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