EU Chips Act

Der EU Chips Act, offiziell Verordnung (EU) 2023/1781, wurde im September 2023 als Reaktion auf die weltweiten Halbleiterengpässe verabschiedet. Er stellt ein zentrales politisches und wirtschaftliches Instrument dar, mit dem die Europäische Union ihre technologische Souveränität stärken, die Resilienz der Lieferketten erhöhen und eine Führungsrolle im Bereich der Mikroelektronik einnehmen will. Der Halbleitersektor ist für die Digitalisierung und die grüne Transformation Europas von strategischer Bedeutung – er bildet die Grundlage für zahlreiche Schlüsselindustrien wie Automobilbau, Medizintechnik, Kommunikation, Luftfahrt oder Verteidigung.

Ausgangslage und Problemstellung

Zu Beginn der 2020er Jahre geriet die Weltwirtschaft in eine globale Chipkrise. Die Ursachen: gestörte Lieferketten infolge der Corona-Pandemie, geopolitische Spannungen, ein rasant wachsender Digitalbedarf sowie eine massive Abhängigkeit von wenigen Ländern (insbesondere Taiwan, Südkorea, USA, China). Europa war stark betroffen, weil es nur etwa 10 % der globalen Halbleiterproduktion abdeckte und in weiten Teilen auf Importe angewiesen war.

Diese Abhängigkeit wurde als strategisches Risiko erkannt – sowohl für die Wirtschaftssicherheit als auch für die technologische Wettbewerbsfähigkeit. Der EU Chips Act soll daher die strukturellen Schwächen der europäischen Halbleiterindustrie beheben und eine nachhaltige, innovationsgetriebene Wertschöpfungskette innerhalb der EU aufbauen.

Hauptziele der Verordnung

Die Verordnung verfolgt drei zentrale strategische Ziele:

  • Stärkung von Forschung und Innovation in der Mikroelektronik durch den Ausbau europäischer Spitzenforschung und Testkapazitäten.
  • Aufbau eigener Produktionskapazitäten („Made in Europe“) für modernste Chips, um die Abhängigkeit von Drittländern zu reduzieren.
  • Schaffung eines Krisenreaktionsmechanismus, um auf künftige Chip-Engpässe besser vorbereitet zu sein und strategische Vorräte zu sichern.

Die EU hat sich das ambitionierte Ziel gesetzt, ihren Anteil an der weltweiten Chipproduktion bis 2030 auf 20 % zu verdoppeln – bei gleichzeitiger Steigerung der technologischen Komplexität.

„Chips for Europe“-Initiative

Ein zentrales Element der Verordnung ist die „Chips for Europe“-Initiative, die durch eine Kombination aus EU-Mitteln, nationalen Investitionen und privaten Beiträgen finanziert wird. Ziel ist es, ein ganzheitliches Ökosystem für Forschung, Design, Fertigung und Schulung aufzubauen.

Die Initiative umfasst unter anderem:

  • Pilotlinien für die Entwicklung und Erprobung neuester Chiptechnologien,
  • eine virtuelle Designplattform für Chipentwicklung und Simulation,
  • die Einrichtung von Kompetenzzentren in den Mitgliedstaaten zur Förderung von Qualifikation, Wissenstransfer und Innovation,
  • die Unterstützung von Start-ups, KMU und Scale-ups, die Zugang zu modernsten Entwicklungstools erhalten sollen.
  • Ein „European Semiconductor Board“ koordiniert die Umsetzung, bewertet Fortschritte und sorgt für kohärente Entscheidungen zwischen den Mitgliedstaaten.

Aufbau moderner Produktionskapazitäten

Ein weiteres Ziel des EU Chips Acts ist der Aufbau und die Förderung sogenannter:

  • Integrated Production Facilities (IPF): Unternehmen, die Chips direkt für den europäischen Markt produzieren,
  • Open EU Foundries: Halbleiterfabriken, die Aufträge Dritter annehmen und für verschiedene Abnehmer produzieren.

Diese Produktionsstätten sollen auf höchstem technologischen Niveau operieren, einschließlich Verfahren im 2-nm- oder 5-nm-Bereich, was die weltweit modernsten Fertigungstechnologien darstellt. Die EU will mit diesen Investitionen im globalen Wettbewerb – insbesondere mit Asien und den USA – aufholen.

Krisenprävention und Notfallmechanismus

Ein Schlüsselelement der Verordnung ist die Schaffung eines Chip-Krisenmechanismus. Dieser beinhaltet:

  • ein Frühwarnsystem mit Indikatoren (z. B. Lieferzeiten, Preisentwicklung, geopolitische Entwicklungen),
  • die Möglichkeit, eine EU-weite Krisenstufe auszurufen,
  • vorrangige Versorgung kritischer Sektoren mit Chips (z. B. Gesundheitswesen, Energie, Sicherheit),
  • gemeinsame strategische Vorratsbildung durch Mitgliedstaaten,
  • gezielte Informationspflichten für Unternehmen in Krisensituationen.

Der Mechanismus soll verhindern, dass künftige Krisen zu Produktionsstopps oder kritischen Versorgungslücken führen.

Finanzierung und rechtlicher Rahmen

Die Finanzierung erfolgt über verschiedene EU-Programme wie Horizont Europa und Digitales Europa, ergänzt durch nationale Mittel und private Investitionen. Ein „Chips-Fonds“ in Zusammenarbeit mit der Europäischen Investitionsbank (EIB) soll insbesondere KMU und Start-ups den Zugang zu Kapital erleichtern.

Rechtlich basiert die Verordnung auf Artikel 173 AEUV (Industriepolitik) und Artikel 114 AEUV (Binnenmarkt). Sie verpflichtet die Mitgliedstaaten zur aktiven Mitwirkung, zur Beseitigung regulatorischer Hindernisse und zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren für strategische Projekte.

EU Chips Act

Internationale Zusammenarbeit und Nachhaltigkeit

Der Chips Act fördert strategische Partnerschaften mit Drittstaaten – z. B. im Rahmen des EU-US Trade and Technology Council. Ziel ist es, verlässliche Lieferketten zu schaffen, technologische Standards zu harmonisieren und geopolitische Abhängigkeiten zu reduzieren.

Zudem ist der ökologische Fußabdruck der Halbleiterproduktion ein Thema: Es werden Umweltstandards, Energieeffizienz und Kreislaufwirtschaft gefördert, um die Branche langfristig nachhaltig zu gestalten.

Fazit

Der EU Chips Act markiert einen Meilenstein europäischer Industriepolitik. Mit einem umfassenden Maßnahmenpaket aus Förderung, Regulierung und Krisenprävention schafft die EU die Grundlage für ein starkes, unabhängiges und wettbewerbsfähiges Halbleiter-Ökosystem. Die Verordnung ist ein zentraler Baustein der digitalen Souveränität Europas und soll langfristig Arbeitsplätze schaffen, technologische Führungsrollen ermöglichen und die Widerstandsfähigkeit der europäischen Wirtschaft stärken.

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