Trend 2026 by ESET: Wenn KI-Agenten Jagd aufeinander machen.
Autonome Angriffssysteme, europäische Cybersouveränität und Ransomware 3.0 – ein Ausblick auf das Jahr, in dem sich die Spielregeln der IT-Sicherheit mit KI-Agenten und Co. fundamental ändern.
Zusammenfassung (TL; DR):
- Agentic AI: Selbstlernende KI revolutioniert Angriff und Verteidigung
- Made in EU: Europäische Cybersecurity wird zum strategischen Vorteil
- Cloud-Security und Supply Chain: Wenn KI die Schwachstellensuche übernimmt
2026 wird kein Jahr der Evolution, sondern der Disruption. Während autonome KI-Agenten erstmals eigenständig Netzwerke infiltrieren und verteidigen, verschiebt sich die geopolitische Tektonik der Cybersicherheit Richtung Europa.
Agentic AI: Selbstlernende KI revolutioniert Angriff und Verteidigung
Die nächste Generation künstlicher Intelligenz steht vor der Tür. Und sie ist fundamental anders als alles, was wir bisher kannten. Autonome KI-Agenten, auch „Agentic AI“ genannt, treffen nicht nur eigenständige Entscheidungen. Sie lernen aus ihren Aktionen, entwickeln eigene Strategien und passen ihr Verhalten kontinuierlich an. Der entscheidende Unterschied zu bisherigen KI-Systemen: Sie besitzen ein Gedächtnis für den Kontext ihrer Operationen, das sogenannte „stateful memory“. Man kann sich das vorstellen wie einen Analysten, der sich über Wochen hinweg an Muster erinnert und daraus intelligente Schlüsse zieht.
In der Praxis sähe das so aus: Diese Agenten werden direkt in bestehende Sicherheitsarchitekturen integriert – etwa in SOAR-Systeme (Security Orchestration, Automation and Response) oder XDR-Plattformen (Extended Detection and Response) – die Sicherheitsdaten aus sämtlichen Unternehmensbereichen zusammenführen. Von dort aus überwachen sie Endpoints in Echtzeit, erkennen Anomalien in verteilten Netzwerken mit ausgefeilten Algorithmen und reagieren völlig autonom. Befallene Systeme werden isoliert, forensische Analysen laufen automatisch an und Sicherheitslücken werden geschlossen.
Aber hier kommt das Problem: Dieselbe Technologie nutzen auch die Angreifer. Sie setzen autonome KI-Agenten ein, um selbstlernende Angriffsketten aufzubauen und sich eigenständig durch Netzwerke zu bewegen. Manche Experten sprechen von einem „lateral movement“ auf einem völlig neuen Level. Die Konsequenz? Cyberangriffe werden schneller, deutlich komplexer und vor allem schwerer vorhersehbar als je zuvor.
Was müssen Verteidiger jetzt tun? Die Antwort liegt in mehrschichtigen Strategien. Containerisierung ist ein Baustein, das Prinzip der minimalen Zugriffsrechte (least privilege) ein weiterer. Aber am wichtigsten bleibt die kontinuierliche menschliche Überwachung mit dem sogenannten Human-in-the-Loop-Ansatz. Warum? Weil auch unsere eigenen KI-Agenten durch gezielte Manipulationsangriffe (adversarial attacks) kompromittiert werden können. Ohne menschliche Aufsicht wäre das eine tickende Zeitbombe.
Made in EU: Europäische Cybersecurity wird zum strategischen Vorteil
Die geopolitischen Verwerfungen der vergangenen Jahre haben etwas in Gang gesetzt, das noch vor kurzem undenkbar schien: Deutsche und europäische Unternehmen besinnen sich zunehmend auf IT-Sicherheitslösungen aus der EU. Eine aktuelle ESET-Umfrage zeigt, dass bereits jedes zweite deutsche Unternehmen auf Cybersecurity Made in EU setzt.
Was steckt dahinter? Selbstverständlich spielt die technische Qualität europäischer Anbieter eine wichtige Rolle. Aber der eigentliche Trumpf ist der gemeinsame rechtliche Rahmen. Europäische Hersteller unterliegen exakt denselben gesetzlichen Anforderungen wie die Unternehmen, die sie schützen. Das schafft eine Transparenz, die man bei außereuropäischen Anbietern oft vermisst. Dazu kommt der strenge europäische Datenschutz nach DSGVO und (nicht zu unterschätzen) eine No-Backdoor-Garantie. Sprich: keine erzwungenen Hintertüren für Geheimdienste außerhalb der EU.
Und der Trend beschleunigt sich: 2026 werden noch mehr Organisationen ihre bisherigen IT-Sicherheitsanbieter gegen europäische Alternativen austauschen. Laut Umfrage planen drei von vier Unternehmen, künftig auf einen EU-Hersteller zu setzen. Das ist kein nationalistischer Reflex, sondern eine strategische Entscheidung mit handfesten Vorteilen.
Cloud-Security und Supply Chain: Wenn KI-Agenten Schwachstellensuche übernimmt
Angriffe über Cloud-Infrastrukturen und kompromittierte Software-Lieferketten zählen zu den größten Einfallstoren für Cyberkriminelle. Aber hier gibt es gute Nachrichten: 2026 wird KI-getriebene Automatisierung endlich zum echten Gamechanger.
Der Ansatz dahinter heißt DevSecOps. Sicherheit wird von Anfang an in den gesamten Entwicklungsprozess integriert, nicht nachträglich draufgesattelt. Und genau hier kommt KI ins Spiel. Agentic AI übernimmt Aufgaben, für die Sicherheitsteams bisher Wochen brauchten:
- Infrastructure as Code (IaC) wird in Echtzeit geprüft: Die KI durchforstet Konfigurationsdateien nach Sicherheitslücken und Abweichungen von Best Practices, noch bevor die Infrastruktur produktiv geht.
- Container-Images werden kontinuierlich gescannt: Sowohl während der Entwicklung als auch im laufenden Betrieb wird nach verstecktem Schadcode gesucht.
- CI/CD-Pipelines stehen unter ständiger Beobachtung: In den automatisierten Entwicklungsprozessen erkennt die KI manipulierte Softwarekomponenten oder verdächtige Zugriffe sofort.
- Automatische Reaktion auf Bedrohungen: Über Orchestrierungssysteme werden gefährliche Zustände beseitigt, ohne dass ein Admin eingreifen muss.
Das Ergebnis? Sicherheitsteams arbeiten effizienter, und die Risiken in komplexen Cloud-Architekturen sinken dramatisch. Wer das ignoriert, macht 2026 einen teuren Fehler.
Ransomware-as-a-Service: Von simpler Verschlüsselung zur perfekten Erpressung
Ransomware ist längst nicht mehr das, was sie mal war. Aus simplen Verschlüsselungstrojanern sind hochprofessionelle Erpressungssysteme mit mehreren Eskalationsstufen geworden. Die aktuellen ESET-Beobachtungen zeigen ein beunruhigendes Bild.
So läuft ein moderner Ransomware-Angriff ab: Die Angreifer verschaffen sich Zugang zum Netzwerk und nehmen sich Zeit. Mit KI-Unterstützung analysieren sie, welche Daten am wertvollsten sind, wo die Schwachstellen liegen. Die eingesetzte Schadsoftware ist modular aufgebaut und nutzt polymorphe Verschlüsselung. Sie verändert ständig ihre Signatur, um Erkennungssystemen zu entkommen. Dann kommt die dreistufige Erpressung (triple extortion):
- Verschlüsselung: Die Daten werden unzugänglich gemacht, der klassische Angriff.
- Exfiltration: Sensitive Informationen werden abgezogen und es wird mit Veröffentlichung gedroht. Zuweilen sogar mit dem Verkauf der Informationen an direkte Mitbewerber.
- Öffentliche Bloßstellung: Kunden, Partner oder sogar die Presse werden über den Vorfall informiert, um maximalen Druck aufzubauen.
Die Kommunikation zwischen Schadsoftware und Angreifern läuft vollautomatisch über Command-and-Control-Server. Die einzelnen Malware-Komponenten werden dynamisch verteilt, was die Entdeckung extrem schwierig macht.
Wie wehrt man sich dagegen? Moderne Abwehrstrategien setzen auf mehrere Säulen: KI-basierte Erkennung von Netzwerkanomalien, automatisierte Isolationsmechanismen und vordefinierte Reaktionspläne (Incident Response Playbooks). Diese ermöglichen eine schnelle Eindämmung und Wiederherstellung durch Lösungen. Wer hier nicht vorbereitet ist, zahlt im Ernstfall einen hohen Preis.
Regulierung wird zum Wettbewerbsfaktor
Die regulatorischen Anforderungen explodieren förmlich. EU-Richtlinien wie NIS2 (Network and Information Security Directive), der EU AI Act und diverse nationale Gesetze erhöhen die Komplexität massiv. Compliance entwickelt sich vom nervigen Pflichtprogramm zum strategischen Kernthema.
Parallel dazu ziehen Cyberversicherungen die Schrauben an. Unternehmen müssen lückenlos nachweisen, dass sie angemessene Sicherheitsmaßnahmen implementiert haben. Transparenz und Dokumentation werden zur Grundvoraussetzung für Versicherungsschutz. Wer das nicht liefern kann, bleibt im Ernstfall auf seinen Schäden sitzen.
Technisch bedeutet das konkret:
- Auditierbare Logdaten und automatisierte Reportingtools: Jedes sicherheitsrelevante Ereignis muss lückenlos dokumentiert sein und für Prüfungen auf Knopfdruck verfügbar.
- Standardisierte Collaboration-Plattformen: Für die Zusammenarbeit bei Sicherheitsvorfällen, intern wie extern.
- Koordinierte Cyberabwehr: Gemeinsame Verteidigungsstrategien innerhalb der EU, zwischen NATO-Partnern und über Industrieverbände hinweg.
Diese Vorgaben bieten eine große Chance und sind mehr als bürokratische Hürden. Sie bilden das Fundament für digitale Souveränität und nachhaltige Cyberresilienz. Europa wird mittelfristig widerstandsfähiger. Zumindest dann, wenn Unternehmen die Herausforderung ernst nehmen.
Fazit: 2026 trennt Vorbereitung von Improvisation
Das kommende Jahr wird geprägt sein von technologischen Umbrüchen und strategischen Neuausrichtungen. KI-gestützte Angriffe werden zum Standard, KI-Modelle stehen auch Cyberkriminellen zur Verfügung, und neue gesetzliche Vorgaben zwingen Unternehmen zum Handeln.
Aber es gibt auch Lichtblicke. IT-Sicherheitslösungen aus der EU werden 2026 weiter an Bedeutung gewinnen. Sie sind technologisch mindestens auf Augenhöhe mit außereuropäischen Alternativen und bieten zusätzlich Datenschutz, Transparenz und einen gemeinsamen Rechtsrahmen. In unsicheren Zeiten sind das wichtige Wettbewerbsvorteile.




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